Podstrony
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herauskommen.« »Aufpassen.« Lucas legte mir eine Hand auf den Arm, aber er sprach offenbar nicht mit mir. Was hatte er gesehen? Balthazar setzte seine Armbrust an. Er bewegte sich so schnell, dass meiner Mutter eben noch genug Zeit blieb, ein silbernes Feuerzeug neben dem Pfeil anzuknipsen. Und schon schoss ein Feuerpfeil durch den Raum, flackernd vom Licht und der Hitze, ehe er sich in die Wand bohrte, die augenblick lich Feuer fing. Feuer. Eines der wenigen Dinge, die uns töten können - ei nes der wenigen Dinge, die wir alle fürchten. Und doch hörte 307 Balthazar nicht auf, einen Pfeil nach dem anderen in die Kirche hineinzufeuern. Er zielte auf kein bestimmtes der sich ducken den und ausweichenden Mitglieder des Schwarzen Kreuzes, sondern versuchte nur, den Raum abzufackeln. Meine Mutter wich nicht von seiner Seite und entzündete, ohne mit der Wim per zu zucken, jedes einzelne Geschoss mit ihrem Feuerzeug. Ein Pfeil zerstörte die Deckenbeleuchtung über uns, sodass dünne Glassplitter in alle Richtungen flogen und sich die bren nende Pfeilspitze tief in die Decke grub. Überall um uns herum wurden aus den alten, trockenen Planken des Versammlungs hauses lodernde Fackeln. Schon jetzt begann dunkler Rauch, alles zu verhüllen. »Lauft!«, schrie Kate und drehte sich zu den breiten Vorder türen, die Mr. Watanabe in ebenjenem Augenblick aufstieß. Aber als diese sich geöffnet hatten, warteten dort schon andere auf uns: Mrs. Bethany, Professor Iwerebon, Mr. Yee und einige der anderen Lehrer, die sich in einer dunklen, unheilverkün denden Reihe aufgestellt hatten. Kei ner von ihnen schwang ei ne Waffe, aber das brauchten sie auch nicht, um deutlich zu machen, was für eine Bedrohung sie darstellten. »Achtung!« Dana ließ ihre Axt fallen und griff nach etwas, das wie eine riesige Spritzpistole aussah. »Wir werden diesen Bastarden eine Dusche verpassen!« »Weihwasser?«, rief Mrs. Bethany über das Knistern der Flammen hinweg. Ich konnte sie nicht sehr gut erkennen, denn meine Augen brannten vom beißenden Rauch, aber ich konnte mir den höhnischen Ausdruck auf ihrem Gesicht vorstellen. »Nutzlos. Sie könnten uns in jedes Taufbecken in jeder Kirche der Christenheit tauchen, und es würde nichts bewirken.« »Die meisten Priester können gar kein Weihwasser ma chen«, bekräftigte Eduardo. Verstörenderweise klang er, als wenn er seine Worte genoss. »Die meisten Priester, gleich wel cher Glaubensrichtung, sind keine wirklichen Gottesdiener. 308 Aber diese Diener gibt es dennoch, und das werden Sie gleich herausfinden.« Dana drückte den Abzug und schickte eine Wassersalve in Richtung der Lehrer. Mr. Yee und Professor Iwerebon schrien sofort auf und wichen zurück, als wären sie mit Säure besprüht worden. »Es klappt!«, brüllte Kate. Aber als Dana ein weiteres Mal schoss, kam der Wasserstrahl gar nicht erst an. Die Luft war inzwischen so heiß, dass das Wasser sofort verdampfte. Die Balken über unseren Köpfen krachten bedrohlich. Ich konnte Professor Iwerebon schmerzerfüllt aufschreien hören, und Mr. Watanabe hustete krampfhaft wegen des Rauchs. Die Bohlen unter meinen Füßen begannen, sich heiß anzufühlen. Ich fragte mich nicht mehr, welche Seite sterben würde; ich fragte mich, ob wir alle draufgehen würden. »Ich werde gehen!«, schrie ich. »Ich werde hinausgehen!« »Bianca, nicht!« Auf Lucas Gesicht malte sich der Feuer schein rot und golden. »Du kannst nicht gehen!« »Wenn ich nicht gehe, wirst du sterben. Ihr alle werdet es nicht überleben. Das kann ich nicht zulassen.« Unsere Blicke trafen sich. Ich hatte mir nie zuvor vorgestellt, wie es sein würde, Lucas Lebewohl zu sagen. Es war mir im mer so vorgekommen, als könnte es kein Lebewohl für uns ge ben, nicht für uns. Er war nicht nur ein Teil meines Lebens - er war ein Teil von mir. Ihn zu verlassen wäre so, wie mir meine eigene Hand abzuhacken, wie durch die Sehnen und den Kno chen zu sägen, blutig und entsetzlich und beängstigend. Aber für Lucas würde ich alles tun, was getan werden musste. Und das bedeutete, ich würde selbst dies über mich bringen. »Nein«, flüsterte Lucas, und seine Stimme war beinahe nicht mehr zu hören, so laut prasselten inzwischen die Flammen. Die Gruppe des Schwarzen Kreuzes drängte sich in der Mitte des Raumes zusammen und bildete einen Verteidigungsring. »Es muss doch noch einen anderen Weg geben.« 309 Ich schüttelte den Kopf. »Gibt es nicht. Das weißt du so gut wie ich. Lucas, es tut mir leid. Es tut mir so leid.« Er machte einen Schritt auf mich zu, und ich wollte mich ihm in die Arme werfen und ihn wenigstens ein einziges Mal noch festhalten. Aber wenn ich das täte, würde ich ihn nie wie der loslassen, das wusste ich. Um unser beider willen musste ich stark bleiben. »Ich liebe dich«, sagte ich, und dann drehte ich mich um und rannte zu meinen Eltern. Die Hand meines Vaters schloss sich um meinen Arm, als er und meine Mutter mich nach draußen zogen. Die Tür schwang hinter uns zu. »Bianca!« Mum umarmte mich fest, und ich merkte, dass sie weinte. Ihr ganzer Körper bebte bei jedem Schluchzen. »Mein Baby, mein Baby, wir haben geglaubt, dass wir dich nie wie dersehen würden.« »Es tut mir leid.« Ich erwiderte die Umarmung, während ich nach einer Hand meines Vaters griff. Über die Schulter hinweg konnte ich sein verschwollenes Gesicht mit dem blauen Auge sehen. Anstatt Zorn oder Verletztheit las ich nur Erleichterung in seinem Blick. »Ich liebe euch beide so sehr.« »Schatz, alles in Ordnung mit dir?«, fragte Dad. »Mir geht es gut, versprochen. Lasst sie nur gehen. Tut es für mich. Lasst sie gehen.« Meine Eltern nickten beide, und wenn Balthazar widerspre chen wollte, dann tat er das nicht laut. Wir alle liefen zur Vor derseite des Versammlungshauses. Dicker Rauch stieg von der Decke auf und wirbelte in einer dunklen Säule in den Himmel empor. Eine Fahrerin in ihrem Auto auf der nahe gelegenen Straße brüllte bereits etwas in ihr Telefon. Bald würden die Feuerwehrwagen eintreffen. Als wir auf den Bürgersteig hinaustraten, wir drei immer noch eng zusammengedrängt, Balthazar dicht hinter uns, eilte Mrs. Bethany auf uns zu. Ihr langer schwarzer Rock flatterte 310 hinter ihr her. »Was machen Sie denn da?«, fragte sie. »Bewa chen Sie die Rückseite! Lassen Sie sie nicht heraus!« »Nein«, schrie ich. »Das können Sie nicht tun. Sie können sie nicht einfach töten!« »Das Gleiche hätten sie mit uns getan«, erwiderte Mrs. Be thany mit schneidender Stimme, und ihre Lippen verzogen sich zu einem unechten Lächeln. Mum holte tief Luft. »Nein. Lassen Sie sie gehen.« Dad warf ihr einen Blick zu, erhob aber keinen Einspruch; er hielt nur meine Hand umklammert. »Sie haben mich gehört.« Mrs. Bethany trat näher und fixier te mich mit ihren schwarzen Augen wie ein Falke, ehe er zu seiner Beute hinabstößt. »Stellen Sie meine Autorität in Frage? Ich bin die Schulleiterin von Evernight.« Es war Balthazar, der ihr eine Antwort gab, indem er sich wie beiläufig seine Armbrust auf die Schulter legte, sodass sie geradewegs auf Mrs. Bethany gerichtet war. Er bedrohte sie nicht direkt, aber es war sehr offensichtlich, dass er nicht zu rückweichen würde. Als sie sich entsetzt vor ihm aufbauen wollte, sagte er gedehnt: »Schule ist aus.« Mrs. Bethany blickte finster, aber sie sagte nichts und mach te auch keine weiteren Anstalten, nicht einmal, als wir den Tumult auf der hinteren Zufahrt hörten, der nur von den flie henden Mitgliedern des Schwarzen Kreuzes herrühren konnte. Ich schloss fest die Augen und wünschte mir die Sirenen der Feuerwehrwagen herbei, damit ich nicht Lucas Schritte hören musste, als er für immer vor mir davonrannte. »Ihre Eltern sagten, Sie seien entführt worden.« Mrs. Bethany stand hinter dem Schreibtisch in ihrem Büro im Kutscherhaus von Evernight. Ich saß vor ihr auf einem un
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